Ein wichtiger Aspekt zur Sicherstellung von Arbeitsplätzen von Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit der Anwendungssoftware, die in ihrem Arbeitsalltag Verwendung findet. Das Projekt BIT-inklusiv setzt sich mit der Etablierung von Kompetenzstellen und -zentren für den Transfer von Fachwissen im Bereich barrierefreie IT ein. So vermittelte BIT inklusiv IT-Expertenwissen im Südwestfunk und im Hessischen und Norddeutschen Rundfunk. In diesem Zusammenhang testete der Kirchenmusiker, Musiklehrer und Betreiber eines kleinen kommerziellen Tonstudios Michael Kuhlmann als freier Mitarbeiter des Projektes verschiedene Audioschnittprogramme auf ihre barrierefreie Bedienbarkeit im Produktionsprozess. Im Interview mit BIT-inklusiv stellt er seine Ergebnisse vor und verdeutlicht, worauf bei der Nutzung dieser Anwendungssoftware geachtet werden muss.
Eine Audiodatei des vollständigen Interviews inklusive Tonbeispiele finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Herr Kuhlmann, was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit Audioschnittprogrammen?
Ursprünglich bin ich Kirchenmusiker, Computertechnik und die Realisierung von Arbeitsabläufen am Computer waren schon immer mein Hobby. Als technisch interessierter Musiker bin ich an Möglichkeiten interessiert, Musik zum guten Ton zu verhelfen. Beispielsweise wenn es darum geht, eigene Musik aufzunehmen. In diesem Zusammenhang bin ich mit Audiosoftware in Berührung gekommen.
Im Rahmen von BIT inklusiv testeten Sie verschiedene Programme auf ihre barrierefreie Bedienbarkeit. Was war das Ziel Ihrer Umfrage?
Zunächst einmal blinden und sehbehinderten Menschen die Möglichkeit zu geben im Pro-Audio-Bereich zu arbeiten. Dieser Bereich ist bislang aufgrund der schlechten Zugänglichkeit nur wenig erschlossen. Im Rahmen der Etablierung eines Kompetenzzentrums beim Hessischen Rundfunk wollte ich herausfinden, welche Programme in Rundfunkanstalten verwendet werden und wie barrierefrei diese sind. Meine Befragungen führte ich mit mehreren Interviewpartnern auch beim Norddeutschen Rundfunk und beim Südwestfunk durch. Im Fokus meines Interesses lag die Frage, ob es für einen blinden oder stark sehbehinderten Pro-Audio-Techniker möglich ist, einen Hauptberuf in diesem Bereich auszuüben und ob die Hilfstechnologie inzwischen soweit entwickelt ist, dass er dies auch konkurrenzfähig machen kann.
Welche Softwareprogramme werden im Produktionsalltag von Rundfunkanstalten genutzt?
Im Rundfunk gibt es verschiedene Richtungen, in denen produziert wird. Beispielsweise wenn Konzerte mitgeschnitten und übertragen werden oder bei der Produktion von Trailern oder Jingles bei populärmusikalisch orientierten Sendern. Auf dem Markt gibt es derzeit mehr als 40 Produkte, die zur Audio-Bearbeitung verwendet werden. In der Praxis sind mir Avid Pro Tools und Magix Sequoia am häufigsten begegnet.
Welchen Anforderungen muss Audiosoftware gerecht werden, damit sie barrierefrei ist?
Die Betriebssysteme von Apple und Windows bieten Screenreader mit Softwareschnittstellen an, die sozusagen eine kommunikative Brücke zwischen Bildschirm und Software bilden. Es muss gewährleistet sein, dass die Audioschnittprogramme mit den Schnittstellen so kompatibel sind, dass der Screenreader seinerseits alle notwendigen Informationen abgreifen und für den Nutzer verwertbar machen kann. Barrierefreiheit ist meiner Meinung nach dann gegeben, wenn der Nutzer das Programm starten und loslegen kann. Deshalb sehe ich die Bedienbarkeit der Programme ohne vorherige Anpassung der Screenreader als eine Hauptanforderung an die Barrierefreiheit einer Software.
Konnten Sie Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bei der Handhabung der geprüften Audioschnittprogramme feststellen?
Pro Tools, der Marktführer, ist auf dem Mac sehr barrierefrei! Hier ist eine große Zugänglichkeit gegeben, wenn man mal von ein paar Schaltern absieht, die vielleicht nicht beschriftet sind. Auf dem PC sieht das leider ganz anders aus: Bis auf die Menüleiste kann ich auf dem Bildschirm mit meinen Hilfsmitteln überhaupt nichts lesen und mit den Inhalten des Programms nicht interagieren. Hier konnte ich einen krassen Unterschied von ein und demselben Programm von sehr zugänglich beim Mac, bis überhaupt nicht zugänglich auf dem PC feststellen.
Welche Möglichkeiten der individuellen Anpassung bieten die einzelnen Anwendungen?
Die Anwendungen selber bieten nur wenige Möglichkeiten der individuellen Anpassung. Man kann die Oberfläche geringfügig umstellen, beispielsweise wenn es um die Auflistung der einzelnen Tonspuren geht. Eine Tabelle zeigt alle Tonspuren die ich habe und auch Informationen darüber, welche Eigenschaften die einzelnen Spuren haben. Anhand einer so genannten Track-Liste kann ich auf einen Blick sehen, welche Spur zur Bearbeitung ausgewählt ist. Außerdem ist ganz genau ersichtlich, welcher Takt der Tonspur gerade ausgewählt ist und kann diesen bearbeiten. Mithilfe von Short-Cuts kann ich mich innerhalb der Takte fortbewegen.
Welche markanten Schwierigkeiten konnten Sie im Umgang mit den getesteten Programmen feststellen?
Probleme treten beispielsweise auf, wenn es um die Verwendung von Tastenkombinationen geht. Hierbei würde ich mir ein größeres, hörbares Feedback seitens der Programme wünschen. Bei einigen Short-Cuts – wie beispielsweise bei copy and paste – bekomme ich eine direkte, akustische Rückmeldung darüber, dass ich gerade einen Part eingefügt habe. Bei anderen Tastenkombinationen ist dies nicht der Fall und es kostest unnötige (Arbeits-)Zeit zu überprüfen, ob der Befehl tatsächlich ausgeführt wurde. Über die Schnittstellen ist es technisch durchaus möglich, eine Funktion einzubauen, um mehr akustisches Feedback zu den Short-Cuts zu bekommen. Das ist eine Barriere, die ganz einfach abzubauen wäre.
Welches der Audioschnittprogramme würden Sie auf Basis Ihrer Tests für den Produktionsalltag empfehlen?
Ganz uneingeschränkt würde ich Avid Pro Tools empfehlen, allerdings nur in der Anwendung auf dem Mac. PC-Nutzern empfehle ich Sequoia von Magix, ein Audio-Profiwerkzeug, das auch für Konzertmitschnitte verwendet wird. Für den privaten Bereich oder auch bei einem kleineren Budget tendiere ich zu dem Freeware-Programm Audacity, das in Rundfunkanstalten, aber auch in Privathaushalten viel genutzt wird. Diese kostenlose Open Source-Software ist auf dem PC sehr zugänglich. Eine weitere Empfehlung ist die relativ junge Digital Audio Workstation „Reaper“ von den Winamp-Entwicklern. Sie ist inzwischen international sehr bekannt und mit knapp 60 Dollar für ein professionelles Audioprogramm sehr günstig. Das tolle an Reaper ist ein Zugänglichkeits-Plug-In, dass von einem der Screenreader-Entwickler von Windows bereitgestellt wird und das Programm wirklich zugänglich macht.
Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihren Tests mit?
In keinem anderen mir bekannten Bereich hängt die Qualität einer Arbeit sosehr vom Gehör ab. Man sagt uns Sehbehinderten und Blinden ein gut ausgeprägtes Gehör nach – insofern ist es paradox, dass wir Programme, bei denen das Gelingen der Arbeit genau davon abhängt, nicht bedienen können. Insofern würde ich mir wünschen, dass noch mehr Programme für uns zugänglich und bedienbar werden. Als Fernziel wünsche ich mir für Sehende als auch für Blinde, dass die Programme für alle gleichermaßen zugänglich werden. Denn festzuhalten ist, dass trotz einiger Fortschritte bei der Barrierefreiheit der professionellen Audiowerkzeuge noch einiges zu tun ist, um eine komfortable und vor allem gleichberechtigte Arbeit mit den Programmen zu ermöglichen. Die Entwicklung darf in diesem Bereich nicht stehen bleiben. Zudem müssen alle Programme sowohl für Mac, als auch für PC zugänglich sein, damit wir blinden und sehbehinderten Nutzer nicht total in die Röhre gucken.